The Original Wildposting Company

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UNCLE feiert das faszinierende werk des kunstlers und filmemachers Clemens.

Berlin

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Der Berliner Clemens Wilhelm schafft außergewöhnlich schöne und sehr bewegende Werke, die immer nachdenklich stimmen und nicht selten von einem ausgeprägten Sinn für das Absurde begleitet werden. Manchmal stehen all diese Qualitäten nebeneinander und ringen um unsere Aufmerksamkeit.

Zum Beispiel Die Linie (2019), Wilhelms Reise zu Fuß entlang der nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegten Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland, vierzehnhundert Kilometer von der tschechischen Grenze bis zur Ostsee. Alle fünfzehn Minuten hält er an, um ein Schwarz-Weiß-Foto zu machen: links der Westen, rechts der Osten und in der Mitte des Bildes die unterschiedlich überwucherte Patrouillenstraße. Dieses Überbleibsel, ein Gespenst einer geteilten Nation, das einst als Todesstreifen bekannt war, ist heute ein Naturschutzgebiet und, so der Künstler, ein Zeugnis für die Banalität der Macht: “Es ist ein Beispiel für unglaublich dumme Architektur.”

Die Linie besteht aus 975 Bildern, die in 67 Minuten mit einer Musikkomposition präsentiert werden, welche aus Originalaufnahmen stammt, die auf dem Weg entstanden sind. Wilhelms Porträts der Landschaft sind atemberaubend. Aber beim Durchqueren von Wiesen, Weizenfeldern und Waldwegen hat man das Gefühl, dass diese Route, dieser Nicht-Ort, in der deutschen Psyche herumspukt. “Auch nach mehr als 30 Jahren ist die Wiedervereinigung ein unvollendeter Prozess, es ist schmerzhaft, daran zu denken, dass einige der Politiker, die Architekten der Wiedervereinigung, immer noch an der Macht sind und nicht zugeben können, wie schädlich Aspekte des Projekts waren. Es ist an der Zeit, dass der Prozess der Wiedervereinigung neu bewertet wird. Und ähnlich wie beim Brexit ist es ein Thema, über das man sich nur schwer unterhalten kann. Die Gemüter können sich sehr erhitzen.”

Wilhems Werke reichen von Bildern, die von Politik, Gesellschaft und Ökologie inspiriert sind, bis hin zu Werken, die die Evolution der Kunst und den Massentourismus darstellen. “Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Klimawandel, lange bevor er zu einem ‘heißen’ Thema in der Kunst wurde”, erklärt Wilhelm. Sein Video mit dem Titel A Horse With Wheels (2017) stellt die Frage: “Können wir unseren Vorfahren, die die ersten Kunstobjekte hergestellt haben, näher kommen? Hilft es unserem Verständnis, wenn wir dieselben Sehenswürdigkeiten und Umgebungen sehen? Haben wir uns seit der Eiszeit überhaupt verändert, oder ist der Fortschritt eine Täuschung? Was wissen wir wirklich über unsere Vergangenheit und warum wollen wir glauben, dass unsere Vorfahren primitiv waren? Unterscheidet sich die Kamera so sehr von einem Tranchiermesser?” Solch tiefgründige Fragen werden in A Horse With Wheels geschickt aufgegriffen. Der Film, der über einen Zeitraum von sieben Jahren gedreht wurde, führt uns von prähistorischen Höhlen in Frankreich über eine Herde von 1000 Rentieren in Norwegen bis hin zu den Weiten der schottischen Highlands und einem anthropologischen Museum in Deutschland. Eine faszinierende Frage wird gestellt: “Wie hat eine solch unerbittliche, wenn auch ehrfurchtgebietende Landschaft die allerersten Bemühungen der Menschheit, Kunst zu produzieren, hervorgebracht und beeinflusst, jene Praxis, die Forscher als “nutzloses Werkzeug” bezeichnen, Kunst als Werkzeug nicht nur zur Darstellung, sondern auch zum Denken und zur Reflexion? Eine 13 000 Jahre alte Mammut-Stoßzahnschnitzerei eines schwimmenden Rentiers ist ein verblüffendes Artefakt. Wenn man Wilhelms nordische Sequenzen sieht, die in der Arktis gedreht wurden und steile, von Rentieren bewohnte Hügel zeigen – wo kein Himmel zu sehen ist, sondern nur die eleganten Tiere, die sich durch Gestrüpp und Felsen bewegen -, dann sehen die eiszeitlichen Höhlenmalereien an den Felswänden plötzlich eher wie wörtliche als abstrakte Darstellungen aus.

Von der echten Wildnis zu einer zynisch konstruierten Realität: The End of Something (2022) zeichnet die Zeit auf, die in einem Park neben dem Eiffelturm in Paris verbracht wurde. Im letzten Sommer, bevor das Coronavirus das “normale” Leben auf den Kopf stellte, wirft Wilhelms Darstellung des Tagtraums des Massentourismus – Segen und Fluch der französischen Hauptstadt – ein Licht auf die konstruierten Ablenkungen des Spätkapitalismus. “Es ist wie der Turm zu Babel: Menschen aus der ganzen Welt
Menschen aus aller Welt, die sich versammeln, um eine vorgeschriebene Freizeit zu verbringen, verschiedene Momente mit ihren Smartphones aufnehmen und so den Algorithmus um dieses Monument des Tourismus füttern. Es ist seltsam, fast wie ein religiöses Fest”. Zwischen den scheinbar alltäglichen Vergnügungen gibt es auch Momente ergreifender Beunruhigung. Eine Frau sitzt im Gras, trinkt aus einer Weinflasche und füttert Vögel mit Brot, als eine Gestalt, deren Gesicht wir nicht sehen können, in den Bildausschnitt tritt und eine Bewegung in Richtung des Brotes macht und dann ihre Finger zum Mund führt. Zunächst winkt die sitzende Frau die Bitte der Fremden ab, doch dann – vielleicht erkennt sie die Ironie, dass sie die Tierwelt des Parks zum Spaß füttert, sich aber weigert, mit einem Mitmenschen zu teilen – bricht sie ein Stück Baguette ab und reicht es ihr. Es ist eine bewegende Szene unter den vielen Ausschnitte, die dieses touristische Ritual begleiten. Auf die Frage, wie er so viele intime Momente im öffentlichen Raum eingefangen hat, erklärt Wilhelm: “Ich habe zwar nicht um Erlaubnis gebeten, aber ich war mit einer ziemlich großen Kamera im Freien! Die Menschen sind so sehr daran gewöhnt, überwacht zu werden, dass sie kaum noch Kameras sehen. Ja, es ist eine Arbeitsweise, die berührende Momente einfängt, Geschenke, die entstehen, wenn man einfach nur dasitzt und lange beobachtet. Das wahre Leben findet statt, wenn man wartet.”

Für seine Zusammenarbeit mit UNCLE greift Wilhelm auf ein Projekt zurück, das 2008 begann. “MACHT NICHTS” ist ein doppeldeutiger deutscher Ausdruck. Er kann als Beschwichtigung verstanden werden: “Es ist nicht so schlimm, es macht nichts.” oder er kann als Befehl verstanden werden: “Tu nichts!”, “Bleib passiv.” Und dann, wenn es als Botschaft hinter einem Flugzeug auftaucht oder über einer riesigen digitalen Anzeige auf einem stillgelegten Gasometer die Stadt erhellt oder sich in einer Berliner Szenekneipe niederlässt oder auf zwei Plaketten zu sehen ist – eine davon wird der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel überreicht -, entwickelt sich “MACHT NICHTS” zu einer verwirrenden Äußerung, einer unheimlichen Aufforderung/Anweisung, die, ohne dass man weiß, wer der “Absender” ist, zu einer Art Doppeldeutigkeit wird. Vielleicht so ähnlich wie die Sprache von gerissenen Politikern und anderen, die ihre Absichten mit schwammigen Worten verschleiern.

Es gibt zwei Versionen des Plakats, die auf den Straßen Berlins zu sehen sind: weißer Text auf schwarzem Hintergrund und umgekehrt. Abwechselnd und in schachbrettartiger Anordnung platziert, säen das strenge Design und die faszinierende Botschaft die urbane Umgebung mit Zweideutigkeit, eine subtil entwaffnende Intervention, die die extremen Enden der “Don’t worry/Do worry”-Taktik widerspiegelt, die verwendet wird, um die Menschen zu beruhigen/zu verängstigen, die durch Themen wie Immigration, die stark steigenden Lebenshaltungskosten, Öko-Krisen, sozialen Zusammenhalt, die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Beschäftigung, etc. etc. aufgeschreckt werden. UNCLE freut sich, einen Künstler/Filmemacher zu unterstützen, dessen Arbeit visuell verführerisch und hypnotisierend ist und der darüber hinaus wichtige soziopolitische, psychologische und philosophische Fragen erforscht.

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